Wie Fussabdrücke im Sand

Von Franken nach Frankreich: Bilder und Objekte von Hans-Jörg Dürr im Schwabacher Bürgerhaus

Bis 1990 gehörte der 1948 in Erlangen geborene Maler HansJörg Dürr zweifellos zu den profiliertesten Künstlem in der Region. Als Mitbegründer des Nümberger „Kunstquartiers“, als Organisator von Workshops, Ausstellungen und Exkursionen, als Wandmaler und Plakatgestalter machte er unermüdlich auf seine künstlerischen Anliegen aufmerksam. Die öffentlichen Instanzen honorierten dies unter anderem mit dem „Nümberg-Stipendium“ und mit dem Erlanger Kulturpreis.

Irgendwann hatte Hans-Jörg Dürr offenbar trotzdem die Nase voll. Für nicht wenige überraschend verzog der Künstler im Januar 1991 in ein kleines französisches Dorf nahe der spanischen Grenze, wo er ein 20-Zimmer-Schlösschen erworben hatte, das er renovieren wollte. Sein Fortgehen nannte er damals zwar nicht „Flucht“oder ‚Exil", doch immerhin einen »Distanzgewinn", von dem er sich

eine gewisse Befreiung" erwanete.

Was daraus geworden ist, vermag der Betrachter halbwegs vor den Bildem und Objekten zu erahnen, welche Dürr derzeit in der Städtischen Galerie in Schwabach zeigt. Die Schwabacher

Ausstellungsmacher, die — anders als viele Nümberger Szene Mitglieder— den Kontakt zu dem „Auswanderer“ nicht haben einschlafen lassen, konnten damit einen bereits seit einigen Jahren gehegten Plan verwirklichen.

„Ich will keine schönen Kunstwerke mehr“, behauptet Dürr „ich mache mir Fetische". Was er auf seinem Lebensweg an Eindrücken und Dingen sammeln konnte, ist ihm unterschiedslos bedeutungsvoller Rohstoff für seine Gestaltungen, welche er als ein bescheidenes „Hinterlassen von mehr oder minder flüchtigen Spuren“ versteht.

Zwei Schädel von Fränkischen Friedhöfen und vier, ebenfalls im Frankenland gesammelte Vogelnester stehen für Verlassenes. Aus Nümberg stammende Holzkisten nahmen die abgelegten Stiefel des französischen „Concierge" auf. Daneben werden die Symbole einer Kindheit in protestantischer Umwelt mit einem Seil an eine katholische Devotionalie gebunden.

Dieser objektgewordenen „privaten Geschichtsschreibung" stellt Hans-Jörg Dürr eine Malerei an die Seite, welche die souveräne Beiläufigkeit eines Fußabdrucks im Sand hat. Bei einigen Arbeiten stellen sich gegenständliche Assoziationen ein, Erinnennigen an optische Endrücke aus der Natur, die der Künstler zeichenhaft verdichtet hat, andere Bilder sind offensichtlich Produkte des spielerischen Erprobens verschiedener Materialien.

Der endlos reproduzierbaren, letztendlich formlosen Beliebigkeit seines informellen Ansatzes versucht Dürr durch seine Hinwendung zum Objekt und zur Plastik, welche er durchaus als angewandte Kunst versteht‚ zu begegnen. So zeigt er in Schwabach neben Bild-Kästen und Bild-

Obiekten, bei denen der Malgrund plastisch verfonnt wurde, auch einige Entwürfe für „Kunst am Bau". ln Frankreich, wo Bilder traditionell auch der Dekoration und Repräsentation „dienen dürfen", hat Dürr mit seiner Methode, freie, ungebundene Techniken bei Zweck-Kunst anzuwenden, bereits erste Erfolge verzeichnen können.

Bernd Zachov

Nürnberger Nachrichten 1.4.1993

Like footprints in the sand

From Frankonia to France: Paintings and objects by Hans-Jörg Dürr in the „Bürgerhaus“, Schwabach

Hans-Jörg Dürr, born in Erlangen, surely belonged to the most distinguished artists here in our region. He indefatigably worked hard to place his artistic work in the focus of public attention. So he became well-known as a co-founder of „Kunstquartier“, as organiser of workshops, exhibitions and excursions, as muralist, even as billboard painter. Within short he first was awarded a „Nürnberg-Stipendium“ and then was given the Cultural Award by his hometown Erlangen.

Anyhow, some day he felt fed up with all this. To the surprise of many people, in 1991 the artist emigrated and settled in a small French village next to the Spanish border, where he had acquired a manor with 20 rooms waiting to be restored all by him and his wife. He didn’t go so far to call his exodus an „escape“, or even „exile“, but he enjoyed the „healing distance“ , promising him a certain amount of new energy and a breath of fresh air.

And the result of all this? A visitor regarding Dürr’s paintings and objects in Schwabach’s Municipal Gallery, may halfway be able to notice some new features. The curators of this Gallery – in contrast to the ones in Nürnberg – have done a lot to maintain contacts to the „emigrants“, thus being able to realize a project they have planned for quite a few years.

„I am through with beauty“, Dürr claims, „what I make are fetishes“. Whatever he could collect on his long way through the times, everything is equally meaningsful as material for his artistic presentations, which he modestly calls „remains of more or less ephemeral traces“.

Two skulls from churchyards, four bird‘s nests, as well picked up in Frankonia stand for abandonment. Wooden chests, found in Nürnberg, harbour the left-over boots of a french „concierge“, next to symbolic remainders of a protestant childhood strapped with a string to catholic devotional objects.

This private historiography is accompanied by a new type of paintings showing the spirit of confident casualness of a footprint in the sand. Some of the works evoke graphic associations, others vague memories of optic impressions from nature condensed to symbolistic drawings. Some works obviously are results of playful experiments with different kinds of material.

Dürr is fully aware of the problems such an informal approach to his artistic works may have, allowing amorphous repetitions ad infinitum. So he concentrates on objects and sculptures which he wants to be understood as works of applied arts. Additionally to „picture chests“ and „chest objects“, the back-board of which now show a plastic deformation, Dürr presents some concepts on „Kunst am Bau“ – art within architecture. In France, where paintings naturally serve decorative or impressive functions as well, Dürr had first successes with his method to apply free and open-end techniques for realizing objects of purposed art.

Bernd Zachov

Nürnberger Nachrichten 1.4.1993